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Leitsätze

für das Projekt Halt!(-ung)

Das Wortspiel Halt!(-ung) legt den Fokus auf zwei Worte.

Erstens auf „Halt!“ und zweitens auf Haltung. Die beiden Worte verweisen auf einen Anspruch der Wilhelmshilfe, mit dem Thema Gewalt umzugehen. So wie jede Hand jeweils fünf Finger an jeder Hand hat, werden jeweils fünf Ansprüche zu Halt und Haltung formuliert. Mit dem Signalwort „Halt!“ soll vermittelt werden, dass bei Gewaltereignissen oder Verdachtsmomenten (z. B. Hinweisen, Beschwerden, etc.) in den Einrichtungen und Diensten der Wilhelmshilfe buchstäblich „Halt!“ gemacht wird.

Halt – Innehalten – Handeln bei Gewalt

Es geht darum, innezuhalten, nachzudenken, hinzusehen, hinzuhören und miteinander zu sprechen, also zu handeln. Handeln heißt auch, sich den eigenen Irritationen und Zweifeln zu stellen, sich bewusst zu machen, dass die Person, die potentiell Gewalt erlebt hat, zeitnah geschützt werden muss. Zweifel daran, ob Verdachtsmomente stimmen, sind berechtigt: Nicht zu handeln oder keine Entscheidung zu treffen, führt in der Regel zur Verschärfung einer Situation. Gewähren lassen oder nicht reagieren bedeutet, sich mitschuldig zu machen.

 

Halt – Gewalt betrifft alle und trifft alle

Mit „Halt!“ soll auch signalisiert werden, dass in den Einrichtungen und Diensten der Wilhelmshilfe das Thema „Gewalt“ umfassend betrachtet wird. „Schwarz-Weiß-Kategorien“ von Schuldzuweisungen sollen vermieden werden, denn Gewalt kann einerseits von allen Personengruppen (Mitarbeiter*innen, Bewohner*innen, Angehörigen) ausgeübt werden. Andererseits können genau die gleichen Personen auch Formen von Gewalt erleben. Unter anderem auch durch die Institution, beispielsweise durch verfestige Abläufe, die an den Bedürfnissen der Bewohner*innen oder der Mitarbeiter*innen vorbei gehen, usw.

 

Halt – Gewalt EinHALT gebieten

Alte Menschen, die in den Einrichtungen leben, stehen unter besonderem Schutz, weil sie auf Hilfe angewiesen sind und für ihre Rechte nicht immer selbst eintreten können. Die Charta für Pflegebedürftige formuliert, dass alte Menschen das Recht haben:

  • vor Gewalt, vor körperlicher oder seelischer Vernachlässigung,
  • sowie vor Schäden durch mangelnde, unsachgemäße oder nicht angezeigte Pflege und Behandlung,

geschützt zu werden. Mitarbeiter*innen oder Angehörigen, die Gewalt ausüben, werden wir „Ein-Halt“ gebieten und Konsequenzen zum Schutz der Bewohner*innen/Klient*innen folgen lassen. Bei Mitarbeiter*innen können dies auch arbeitsrechtliche Konsequenzen sein. Wenn Bewohner*innen dauerhaft Gewalt gegen Mitarbeiter*innen oder Mitbewohner*innen ausüben, kann dies zu einem Umzug, aber auch zur Kündigung des Heimvertrages führen.

 

Halt – Halt finden – Verantwortung übernehmen

„Halt“ verweist darauf, dass in den Einrichtungen und Diensten der Wilhelmshilfe „Halt“ gegeben wird. Das heißt alle Folgen von Gewalt werden bei den Betroffenen in den Blick genommen und es wird Hilfestellung jeglicher Art - also „Halt“ gegeben.

 

Halt – Halt finden – Abhalten von Gewalt

Mitarbeitende, die an eigene Grenzen stoßen und Anzeichen bei sich selbst erkennen, dass sie gegenüber Bewohner*innen oder Kolleg*innen übergriffig werden, möchten wir im Rahmen unserer Möglichkeiten dabei unterstützen, wieder Halt zu finden. Unser Ziel ist es, dass Kollegen*innen offen über ihre Grenzen oder Grenzverletzungen sprechen können, ohne Schuldzuweisungen zu befürchten. Wir möchten von Gewalt „abhalten“ und suchen gemeinsam nach Lösungen. Insbesondere Auszubildende werden während ihrer praktischen Ausbildung intensiv auf das Thema Gewalt vorbereitet und begleitet. Bewohner*innen, die keine Bezugspersonen in unmittelbarer Nähe haben, möchten wir durch Ehrenamtliche unterstützen, die für sie Ansprechpartner sein können und bei denen sie Halt finden.

 

Haltung

Wir wissen darum, dass „Gewalt“ in allen Bereichen der Pflege vorkommen kann. Dieser Verantwortung stellen wir uns. Mit dem Wort „Haltung“ verweisen wir deshalb darauf, dass in den Einrichtungen und Diensten der Wilhelmshilfe eine Haltung zum Thema Gewalt entwickelt werden soll, damit die fünf Aspekte zu „Halt“ auch umgesetzt werden können. Dies wird im Folgenden anhand von Leitsätzen beschrieben.

 

Haltung zeigen, heißt: alle übernehmen Verantwortung

„Haltung zeigen“ bedeutet, dass jeder, der in einer Einrichtung wohnt, zu Besuch kommt oder arbeitet, in die Lage versetzt oder ermutigt wird, Gewaltphänomene1 wahrzunehmen und diese gezielt an die Verantwortlichen weiterzugeben. Personen, die Gewaltvorkommnisse melden, werden ernst genommen und nicht diskriminiert. Hinweisen anonymer Art wird nachgegangen. Gleichermaßen wird auch im Rahmen von Pflegevisiten gezielt gefragt, ob Bewohner*innen Gewaltphänomene bei sich oder anderen Bewohnern*innen wahrnehmen. Haltung zum Thema Gewalt zeigen ist auch eine Anfrage an Leitung, Handlungen und Entscheidungen mit Kolleg*innen aus dem Leitungsteam zu reflektieren und sich einzugestehen, dass man Hilfe benötigt. Der Vorstand wird über jeden Fall von Gewalt informiert und verpflichtet sich, Strukturen zu schaffen, damit Gewaltereignisse nicht nur intern, sondern auch über externe Beteiligte bearbeitet und überprüft werden. Der Aufsichtsrat steht „bildlich“ hinter dem Vorstand und stärkt ihm den Rücken.
1Physische Gewalt (z. B. schlagen, stoßen), Psychische Gewalt (z. B. drohen, verspotten), sexuelle Gewalt (z. B. berühren
von Geschlechtsteilen), finanzielle Ausbeutung sowie Vernachlässigung (z. B. unzureichende Pflege, fehlende Zuwendung)

 

Haltung zeigen, heißt: Vertrauen haben und sich getroffener Vereinbarungen versichern

Haltung spiegelt sich in einer gemeinsamen Überzeugung, dass Mitarbeitenden, Kolleg*innen, Bewohnern*innen und Angehörigen Vertrauen entgegengebracht wird. Der Alltag wird nicht von Gewalt bestimmt, sondern gewaltfreie Räume sind die Regel. Dennoch nehmen wir auch eine Haltung ein, die sich ins Bewusstsein ruft, dass Gewalt in allen Einrichtungen und Diensten vorkommen und von allen Personen erlebt oder ausgeübt werden kann. Wir vermeiden „Gewaltfallen“, die sich beispielweise in Aussagen zeigen wie: „Das passiert doch überall“ oder die ein „gut und böse -Schema“ befördern. Durch solche Aussagen wird die Mehrdimensionalität von Auslösern und Handlungen aus dem Blick verloren. Es wird darauf verzichtet, Gewaltereignisse herunterzuspielen, zu normalisieren oder zu verdrängen. Wir versichern uns außerdem immer wieder, dass Vereinbarungen und Regelungen eingehalten und umgesetzt werden und eine Nichtbeachtung sanktioniert wird, d. h. Konsequenzen hat. Wir nutzen dazu unsere Instrumente, wie beispielsweise die Pflegevisite. Bei der Auswahl von neuen Mitarbeiter*innen haben wir festgelegte Auswahlkriterien und überprüfen während der Probezeit den Umgang mit Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen.

 

Haltung zeigen, heißt: Selbstverantwortung und miteinander Verantwortung tragen

Jeder und Jede kommt an Grenzen, unabhängig davon, welche Aufgaben er im Team wahrnimmt. Verstärkt zeigt sich dies in Zeiten von Mitarbeiterausfall und „Notbesetzung“. Haltung zeigen bedeutet daher auch, Räume zu schaffen oder zu nutzen, in denen eigene Grenzen thematisiert werden können und in denen das Team Lösungen findet, um Konfliktverschärfungen zu vermeiden. Das Motto heißt: „Miteinander, nicht übereinander sprechen“. Haltung wird insbesondere auch daran deutlich, Mitarbeiter*innen oder Kolleg*innen auf erste Anzeichen von Gewalt aufmerksam zu machen oder die Leitung darüber zu informieren. Angebote zur Krisenintervention oder Beratung werden angeboten. Informationen liegen beim Träger vor und ein Ansprechpartner ist benannt.

 

Haltung zeigen, heißt: Gemeinsam lernen, im Gespräch bleiben und Regeln vereinbaren

Haltung zeigt sich auch daran, dass gemeinsam mit allen Gruppen darüber nachgedacht wird, wie Gewalt verhindert oder Gewaltphänomene auf ein Minimum reduziert werden können. Bewohner*innen und Angehörige sowie Bürger *innen werden in diese Überlegungen einbezogen, gefragt und als gleichberechtigte Partner*innen wahrgenommen. Einerseits wird Wissen entsprechend der Personengruppen
vermittelt, andererseits auch Informationsmaterial entwickelt. Es wird die Strategie verfolgt, die jeweiligen Personen zu befähigen, erste Anzeichen von Gewalt zu erkennen und diese zu thematisieren. Wenn ein Gewaltereignis vorkommt, wird gemeinsam Verantwortung für die Lösungssuche und die Konsequenzen übernommen. Deshalb werden klare Verfahren (Ansprechpartner*innen, kurze Wege) und Prozesse von der Beobachtung über die Bearbeitung bis hin zur Evaluation vereinbart. In diesem Zusammenhang setzen wir uns auch für Wiedergutmachung ein. Haltung zeigen, heißt selbstbewusst mit dem Thema Gewalt umzugehen. Dazu gehört auch der Austausch zum Thema Gewalt. Dazu wünschen wir uns den Austausch mit anderen Trägern und Einrichtungen, um Wissen auszutauschen bzw. von guten Praxisbeispielen zu profitieren und gemeinsam zu lernen. Wir pflegen außerdem den Austausch mit Experten, um uns weiterzuentwickeln und um uns zu vergewissern, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

 

Haltung zeigen, heißt: Bürgerschaft in die Verantwortung mit hineinnehmen

Haltung zeigt sich dadurch, dass das Thema „Gewalt“ gegen alte Menschen im Landkreis/in der Kommune publik gemacht wird. Gewalt gegen alte Menschen soll als ein Thema der Bürgerschaft wahrgenommen werden, bei dem es darum geht, eine breite Verantwortungsbasis zu schaffen. In Kooperation mit der Kommune Beratungs- und Hilfsangebote für Angehörige und alte Menschen zu schaffen, die Gewalt erleben oder ausüben sind wichtig. Haltung einnehmen heißt damit auch, dass die Wilhelmshilfe sich positioniert, Gewaltereignisse aufarbeitet, transparent gestaltet und gleichermaßen Schulungs-und Aufklärungsarbeit für die Bürger*innen leistet, damit sie Gewaltphänomene erkennen und benennen können.

 

Wilhelmshilfe Göppingen, Stand Oktober 2020